Wen ich liebe bestimme nur ich allein!
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In Russland verabschiedeten in den letzten Jahren mehrere Stadt- und Regionalparlamente Gesetze, die verbieten „in öffentlichen Aktionen“ über Homo-, Bi- und Transsexualität aufzuklären. Seit Juni 2013 steht dieses Reden über sexuelle Selbstbestimmung in ganz Russland unter Strafe.
Im Januar 2014 outete sich Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzelsperger als homosexuell. Er sprach über „schwule Pässe“ und dumme Sprüche in der Kabine. Er möchte eine öffentliche Diskussion voranbringen: „Homophobe Leute haben jetzt einen Gegner mehr.“
Woher kommt der Hass? Zum rechtlichen Hintergrund dieses kulturpolitischen Problems beschreibt Herr Rechtsanwalt Volker Loeschner, Fachanwalt für Medizinrecht, von der „Kanzlei für Zahn- und Medizinrecht“ die wichtigsten Stationen.
Deutsche Gesetze in der Rückschau
Der „Schwulenparagraph“ (2/2)
123 Jahre § 175 StGB
Abgeschafft 1994 – vor 20 Jahren
Das KiEZBLATT druckt das heute noch global aktuelle Thema in 2 Folgen. Folge 1 die Historie lasen Sie im KB-Februar und Folge 2 heute mit einigen Lebensläufen bekannter Persönlichkeiten.
„123 Jahre mussten vergehen, bevor der „Schwulenparagraph“ entgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Die Verfolgung, eine Ära der Angst und des Versteckens hat ein Ende. Das Ausmaß der individuellen Unfreiheit steckt noch immer in vielen Köpfen und bestimmt teilweise auch noch heute das Handeln. Strafgesetze sind Spiegelbilder der gesellschaftlichen und politischen Kultur. Der Wertewandel zu mehr sexueller Freiheit zeigt die heutige Auffassung des selbstbestimmten Lebens. Im Strafgesetzbuch werden die Grenzen der Freiheiten bestimmt; diese Grenzen werden durch die Veränderungen in der Gesellschaft verschoben. Natürlich gibt es keine grenzenlose Freiheit, aber mehr Freiheit ohne Grenzen. Die Ansichten der Menschen müssen sich in ihren Köpfen verändern, eine Gesetzesänderung allein kann einen Wertewandel nicht bewirken.“, so äußert sich Herr Rechtsanwalt Volker Loeschner, Fachanwalt für Medizinrecht, gegenüber dem Kiezblatt.
A:
Gustav Gründgens
Schauspieler und Regisseur
*22.12.1899 in Düsseldorf, † 07.10.1963 in Manila
Der Schauspieler und Regisseur Gustav Gründgens wurde bekannt durch seine Interpretation der Rolle des Mephisto in Goethes Faust I, die er erstmals 1932 spielte. Er gehört zu den wenigen Künstlern, die zeitweise im Nationalsozialismus mit Duldung rechnen konnten. Als Protegé von Hermann Göring wird er erst zum künstlerischen Leiter des Preußischen Staatstheaters ernannt, später wird er Senator der Reichskulturkammer und Intendant des Preußischen Staatstheaters.
Schon im Juni 1926 heiratet er Erika Mann, die lesbische Tochter Thomas Manns. Die Ehe wird bereits 1929 wieder geschieden. Ab 1933 wird die Ehe für Gründgens zum Mittel für ein unproblematischeres Leben, privat wie beruflich. Gründgens Beziehungen zu jungen Männer sind immer wieder Thema in der Reichskanzlei. Sein Selbstschutz und seine Leidenschaft für den Beruf gehen soweit, dass er zum zweiten Mal die Ehe, diesmal eine s.g. Lavendelehe, eingeht. Um die bisexuelle Schauspielerin Marianne Hoppe und sich selbst vor Nachstellungen der Nazis zu schützen, heiratet das Paar 1936. Die Scheidung erfolgt 1946.
Obwohl Gründgens nachweislich Kollegen hilft, bleibt seine Rolle im Dritten Reich undurchsichtig.
B:
Thomas Mann
Schriftsteller
* 06.06.1875 in Lübeck, † 12.08.1955 in Zürich
Thomas Mann gehört zu den bedeutendsten Erzählern deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Für seinen ersten Roman Buddenbrooks (erschienen 1901) erhielt er 1929 den Nobelpreis für Literatur. Er unterdrückte ein Leben lang seine homosexuellen Neigungen, betrachtete sie als Schwäche und Krankheit. Seine Antwort war Selbstzucht und Triebunterdrückung. So heiratete er 1905 seine Frau Katie, mit ihr hatte er insgesamt 6 Kinder, von denen Erika, Klaus und Golo die drei ältesten sind. Seine posthum veröffentlichen Tagebücher zeigen aber klar, dass Thomas Mann sich vor allen zu jungen Männern hingezogen fühlte. Ganz besonders in „Tod in Venedig“, aber auch in vielen anderen seiner Erzählungen und Romane kann man homoerotische Tendenzen finden. In seinen Tagebüchern bedankte er sich bei seiner Frau für ihre Toleranz und ihr Verständnis. Die Beziehung zu seiner Frau soll trotz der 6 Kinder eher kameradschaftlich gewesen sein. Thomas Mann starb 1955 bei Zürich, wohin er nach Kriegsende aus seinem Exil in den USA zog.
C:
Rosa von Praunheim
Filmregisseur
* 15.11.1942 in Riga, Lettland
Der als Holger Radtke Geborene gab sich selbst den Künstlernamen Rosa von Praunheim.
Mit seinem Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971) gilt er als öffentlicher Wegbereiter und einer der Mitbegründer der politischen Schwulen- und Lesbenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 1970er. In 30 Jahren drehte von Praunheim über 50 Filme. Neben Homosexualität waren seine Themen „ältere, vitale Frauen“ (z.B. Evelyn Künneke und Lotti Huber) und seit den späten 1980er Jahren die AIDS-Prävention.
Von Praunheim wurde 1942 während der deutschen Besatzung im Zentralgefängnis in Riga geboren. Seine leibliche Mutter starb 1946 in der Psychiatrie (Wittenauer Heilstätten Berlin). Nach der Geburt wurde Holger Radtke zur Adoption freigegeben. Von der Adoption erfuhr er erst 58-jährig im Jahr 2000 von seiner Adoptivmutter Gertrud Mischwitzky. Als Holger Mischwitzky wuchs er in Ost-Berlin auf und flüchtete 1953 mit seiner Familie in den Westen. Im Jahr 1969 heiratete er die Schauspielerin Carla Egerer (alias Carla Aulaulu). 1971 ließ sich das Paar scheiden. Er wohnt in Berlin und lebt in einer festen Beziehung mit seinem Mitarbeiter Oliver Sechting.
D:
Günter Kießling
Vier-Sterne-General der Bundeswehr, stellvertr. NATO-Oberbefehlshaber
* 20.10.1925 in Frankfurt (Oder), † 28.08.2009 in Rendsburg
Der Vier-Sterne-General der Bundeswehr und stellvertretende NATO-Befehlshaber Günter Kießling trat 1984 mit der s.g. „Kießling-Affäre“ in das Licht der Öffentlichkeit: Ihm wurde Erpressbarkeit wegen seiner angeblichen Homosexualität vorgeworfen. Daher erfolgte eine vorzeitige Verabschiedung zum 23.12.1983. Nach Entkräftung der Vorwürfe wurde Kießling wieder in Dienst genommen und schließlich am 31.03.1984 aus Gesundheitsgründen mit einem Großen Zapfenstreich aus der Bundeswehr entlassen.
Im Jahr 1983 ging das Amt für Sicherheit der Bundeswehr (ASBw) Gerüchten aus dem NATO-Hauptquartier nach, General Kießling sei homosexuell. Im Zuge der Ermittlungen befragte die Kölner Kriminalpolizei Mitarbeiter verschiedener Lokale. In den Kneipen „TomTom“ und „Café Wüsten“ identifizierten mehrere Personen das Foto von Kießling als „Günter oder Jürgen […] von der Bundeswehr“.
Am 15.09.1983 wurde Kießling im Verteidigungsministerium erstmals mit den Vorwürfen konfrontiert. Kießling versicherte auch Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU), dass die Vorwürfe jeder Grundlage entbehrten. Dennoch stufte der Verteidigungsminister Kießling als Sicherheitsrisiko ein. Er entschied am 08.12.1983, ihn zum Jahresende 1983 vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Als Kießling am 13. Dezember davon in Kenntnis gesetzt wurde, beantragte er gegen sich selbst ein Disziplinarverfahren, an dessen Ende die Rehabilitation stand.
E:
Klaus Wowereit
Politiker, Regierender Bürgermeister von Berlin
* 01.10.1953 in West-Berlin
Klaus Wowereit wuchs als Jüngster mit zwei Brüdern und zwei Schwestern ohne Vater in einer römisch-katholischen Familie auf. Neben seinen Studentenjobs unterstützte ihn einer seiner Brüder finanziell und er pflegte wiederum später jahrelang seinen nach einem Unfall querschnittsgelähmten Bruder und seine krebskranke Mutter. Nach dem Abitur 1973 an der Ulrich-von-Hutten-Oberschule in Berlin-Lichtenrade begann Wowereit ein Studium der Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin, das er 1979 mit dem ersten juristischen Staatsexamen abschloss. Er wurde Rechtsreferendar, u. a. im Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg und machte 1981 sein zweites juristisches Staatsexamen. Danach war Wowereit Regierungsrat zur Anstellung beim Senator für Inneres in Berlin. Wowereit ist seit 1993 mit dem Neurochirurgen Jörn Kubicki (* 1965) liiert, mit dem er seit 2005 in einer gemeinsamen Wohnung lebt. Seit dem 16. Juni 2001 ist er Regierender Bürgermeister von Berlin und seit dem 13. November 2009 stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Im Juni 2001 erklärte Klaus Wowereit auf einem Sonderparteitag der SPD öffentlich: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ Er war damit der erste deutsche Spitzenpolitiker, der so offen zu seiner Homosexualität stand.
Ihr Volker Loeschner
Hier die erste Folge –
– Sexuelle Selbstbestimmung (1/2)
Wen ich liebe bestimme nur ich allein! Aktuell & global
In Russland verabschiedeten in den letzten Jahren mehrere Stadt- und Regionalparlamente Gesetze, die verbieten „in öffentlichen Aktionen“ über Homo-, Bi- und Transsexualität aufzuklären. Seit Juni 2013 steht dieses Reden über sexuelle Selbstbestimmung in ganz Russland unter Strafe.
Im Januar 2014 outete sich Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzelsperger als homosexuell. Er sprach über „schwule Pässe“ und dumme Sprüche in der Kabine. Er möchte eine öffentliche Diskussion voranbringen: „Homophobe Leute haben jetzt einen Gegner mehr.“
Woher kommt der Hass? Zum rechtlichen Hintergrund dieses kulturpolitischen Problems beschreibt Herr Rechtsanwalt Volker Loeschner, Fachanwalt für Medizinrecht, von der „Kanzlei für Zahn- und Medizinrecht“ die wichtigsten Stationen.
Deutsche Gesetze in der Rückschau
Der „Schwulenparagraph“ (1/2) – 123 Jahre § 175 StGB
– Abgeschafft 1994 – vor 20 Jahren
Das KiEZBLATT druckt das heute noch global aktuelle Thema in 2 Folgen.
Folge 1 die Historie und Folge 2 einige Lebensläufe bekannter Persönlichkeiten.
Der „Schwulenparagraph“: Das Gesetz, das gleichgeschlechtliche Liebe zur Straftat machte und Schwule und Lesben zu Verbrechern werden ließ, wurde erst 1994 abgeschafft. Am 1. Januar 1872 wurde aus dem exakt ein Jahr zuvor in Kraft getretenen Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes das Reichsstrafgesetzbuch. § 175 RStGB stellte insbesondere sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach den verschiedenen gültigen Fassungen des § 175 verurteilt. Im Volksmund wurden Schwule auch als „175er“ bezeichnet.
Die gültige Fassung des § 175 RStGB vom 01.01.1872 bis zum 01.09.1935 lautete: „Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“
Im Jahr 1935 verschärften die Nationalsozialisten den § 175, indem sie die Höchststrafe im Zuge einer Umdefinition vom Vergehen zum Verbrechen von 4 Jahren auf 5 Jahren Gefängnis vornahmen. Unter Strafe gestellt wurde hier bereits der „lüsterne Blick“, der selbstverständlich einer freien Interpretation Tür und Tor öffnete. Eine gegenseitige Berührung war nicht mehr erforderlich. Auf das Vorliegen von „beischlafähnlichen Handlungen“ wurde nicht mehr abgestellt. Ein Kuss, eine leichte Berührung, der bloße Verdacht, eine Kleinigkeit reichte, um im Zuchthaus oder Konzentrationslager zu landen.
Allein zwischen 1937 und 1939 wurden fast 100.000 Männer in der geheimen „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ erfasst. Mehr als 100.000 Homosexuelle wurden von den Nazis verschleppt und gefoltert, etwa 15.000, der mit einem rosa Winkel gebranntmarkten Opfer, wurden umgebracht. Auch im KZ Sachsenhausen b. Oranienburg wurden Homosexuelle getötet.
1949 bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde der § 175 in der Version der NS-Fassung von 1935 übernommen: „(1) Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Alles bis dahin geltende Recht blieb in Kraft „soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht“, § 123 Abs. 1 GG. In einer Reihe von Entscheidungen schloss sich der Bundesgerichtshof (BGH) der Rechtssprechung des Dritten Reiches an, wonach der Tatbestand der Unzucht keine gegenseitige Berührung voraussetzte. Allerdings wurde aus dem Merkmal „treiben“ abgeleitet, dass das Handeln stets eine gewisse Stärke und Dauer haben müsse. Auf dieser Grundlage kam es zwischen 1950 und 1969 zu mehr als 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 50.000 rechtskräftigen Verurteilungen. Erst 1969 wird der § 175 StGB gelockert (sog. 1. BRD-Reform): Waren beide über 21 Jahre (damals Alter der Volljährigkeit) oder unter 18 Jahre alt, so war der Kontakt straffrei. War einer der Männer über 21, der andere unter 21 Jahre, so wurde nur der ältere bestraft. Waren beide zwischen 18 und 21 Jahre alt, so machten sich jedoch beide strafbar. 1972 kam es zu einer 2. Reform. Seitdem waren nur noch homosexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren (Änderung der Volljährigkeit) strafbar, wogegen das Schutzalter bei lesbischen und heterosexuellen Beziehungen bei 14 Jahren lag.
1971 schlug Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ wie eine Bombe ein und löste eine kontroverse gesellschaftliche Diskussion aus. Homosexuelle Clubs und Initiativen wurden gegründet. Deutschlands Homosexuelle organisierten sich.
Bei Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949 übernahm diese den § 175 in einer entschärften Fassung von 1871. Im Jahr 1968 wurde mit der Schaffung eines eigenen Strafgesetzbuches der Paragraph aufgehoben und § 151 StGB-DDR eingeführt.
Am 11. August 1987 hob das Oberste Gericht der DDR ein Urteil wegen § 151 StGB-DDR mit der Begründung auf, dass „Homosexualität ebenso wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstellt.“. Ein Jahr danach strich die Volkskammer der DDR in ihrem 5. Strafrechtsänderungsgesetz den § 151 ersatzlos.
Im Zuge der Rechtsangleichung zwischen den beiden deutschen Staaten nach 1990 musste sich der Bundestag entscheiden, ob er den § 175 StGB-BRD streichen oder ihn in der bestehenden Form auf die neuen Bundesländer übertragen wollte. Im Jahr 1994 entschied man sich mit Ablauf der Rechtsangleichungsfrist mit dem 29. Strafrechtsänderungsgesetz vom 31.05.1994 den § 175 StGB zu streichen. Dies geschah auch vor dem Hintergrund der inzwischen eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen. Neu eingefügt wurde der § 182 „Sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ mit einem relativen Schutzalter von 16 Jahren, der geschlechtsneutral formuliert wurde und den Verkehr zwischen einem Volljährigen und einer Person unter 16 Jahren unter Strafe stellt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Bestrafung einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) eingestuft ebenso die Festlegung unterschiedlicher strafrechtlicher Schutzaltersgrenzen. Deutschland ratifizierte die Europäische Menschenrechtskonvention am 05.12.1952.
Ihr Volker Loeschner – Rechtsanwalt