Autorin Kerwien: KB-Kurzweiliges 21~09

„Montags die Post“
Wenn man nur fünf der sechs Buchstaben des Wortes „Berlin“ austauscht, erhält man „Montag“. Also ist Montag die Post dran.

Für meinen Auftritt habe ich extra drei schöne bunte Röcke aus der Kollektion „Gardinen Tegel“ übereinander gezogen. Ich habe meine Hexenhaare ein paar Monate nicht Ausgerissen, und auch meine Zähne habe ich zuhause gelassen. Man kann viel Geld für Pomade sparen, wenn man die Haare einfach mit ihrem Eigenfett legt. Das bringt den Messingschimmer schön raus und besonders im Sommer riecht das auch angenehm. So würzig.

Ich halte mich an meinem randvollen AOK-Chopper fest. Das muss so. Man weiß nie, ob man nochmal nach Hause kommt. In den Hüften schaukele ich von rechts nach links, mit dem Unterkiefer schaukele ich von vorne nach hinten. Ich nenne das Phantomkauen. Es macht fast so viel Spaß, als hätte ich wirklich was zu essen.

Die Buddestraße ist noch leer. Die ersten Einzelhändler putzen ihre Schaufenst er oder stehen auf dem Trottoir in ihren einheitlichen Firmen-T-Shirts („Geschenkeparadies“) und rauchen. Einer hat vor einem Geschäft für nachgemachte Druckerpatronen eine lila Petunie in einen Betonplattenspalt gepflanzt. Dahinter ist der Marmor des Ladensockels von der Hundepisse hübsch gelbgrau verwittert. Eine Frau ist nur deshalb schon wach, weil es ihr Freude macht, in den Tee mit dem frischem Minzblatt am Dönerladenscheibenschlitz zu lächeln.

Tegel ist bereit für mich.

Ich komme schon um zwanzig vor Neun bei der Post angeschaukelt. Die Rumänin, die an der Eingangstreppe die Obdachlosenzeitung verkauft, ist wieder da. „Ganz schön lange Urlaub gemacht!“, sage ich und drohe ihr mit dem Zeigefinger. Damit man den Zeigefinger besser sieht, habe ich die Fingernägel schon länger nicht geschnitten.

Der Eingang zum Post-Schalterraum ist noch mit einer weißen Jalousie versperrt. Die machen ja erst um Neun auf. Davor steht schon eine lange Schlange. Man murmelt sich gegenseitig zu, die Geldautomaten seien mal wieder defekt. Ich schau
mir mein Publikum an, dann sage ich: „Haben Sie Geld für mich?“ Die schauen
weg. „So viele Menschen, und keiner bringt Geld mit!“. Dann lache ich und stelle ich mich ganz vorne, vor den ersten Mann in der Schlange.

Bei dem habe ich gleich so ein komisches Gefühl. Der sagt gar nichts. Die Frau hinter ihm wütet gleich los, „Eh, hallo, JUNGE Frau! Hinten is dett Ende!“, aber der? Der schaut bloß. Das ist ein junger Mann, ganz schöne Schuhe hat der an. Sehr gerade steht der, als würde er sonst eine Uniform tragen oder mindestens einen Anzug. Der trägt den Kopf höher als andere, das Kinn ganz gerade, und der atmet so ruhig durch die Nase. Sowas fällt mir auf an einem Mann.

„Verstehnsema“, sag ich ihm Bescheid. „Ick will gar nich heiraten.“

Is ja klar. Alleine komme ich noch ganz gut zurecht.

Bei jedem Neuen, der in den Vorraum kommt und sich in der Schlange anstellt, frage ich wieder ganz laut: „Haben Sie vielleicht Geld für mich? So viele Menschen, und keiner bringt mir Geld!“ Ich muss laut sprechen, sonst hören die mich ja nicht. Die sind alles ganz leise und flüstern nur noch. Ausser die, die Krätze haben. Die knistern.

Um Neun fährt pünktlich die Jalousie hoch. Ich stürme gleich los, an der Postbeamtin vorbei zu den Schaltern. Im Vorbeigehen brülle ich ihr zu, warum ich hier bin: „Wir wollen hier heute alle eine Million einzahlen!“ – Sie sagt: „Na, denn machen se mal!“ Da haben wir gleich eine Ebene.

Ich gehe gleich an den Schalter, da steht so eine Jungsche, ganz Ausgeschlafene.
Ich packe erstmal meinen Chopper aus. Da sind meine Sachen drin, alles nochmal extra in alte Stullentüten gewickelt. Es könnte ja regnen. Ich finde meine Kontokarte nicht. Ich brülle also erstmal: „Keene Hektik!“, damit die jungsche Postbeamtin Bescheid weiß.

Ich packe alles auf dem Schalter aus. Meinen Wecker, meine Probierstrümpe ausm Leiser Bequem, meine Schlüppis. Die Plastikbecher vonne Würstchenbude.
Dann sehe ich die Auslage auf dem Tresen, Lederportemonnais für 10 Euro. Ganz schön kleine Dinger. Also brülle ich: „Portemonnais ‚nen Zehner, Mannomann!“ Die anderen können das ruhig auch wissen, wie die uns hier abziehen wollen.

Ich suche noch meine Karte, also plaudern wir ein bisschen, ich erklär der Frau hinter dem Schalter erstmal: „It wird auch allet immer schwieriger. Aber wenn ick alleine bin, jett et noch. Deshalb will ick och nicht heiraten.“

„Oh Mann, kann die nicht einfach wieder abhauen?“, sagt die Postbeamtin zu ihrer Kollegin und beide verdrehen voll komisch die Augen.

„Keene Hektik!“, brülle ich nochmal. „Wird ja allet immer schwieriger!“

Dann finde ich meine Karte. Sie ist ein bisschen schmierig, denn die war ja auch in einer alten Stullentüte. Ich reiche sie rüber. „Wat hab ick noch druff?“, schreie ich, damit die Frau mich auch versteht.

„36 Euro“, sagt die.

„Ick nehm so‘ n Zehner mit“, mach ich ihr klar. „Ich wollte eigentlich Zwanzig mitnehmen. Aber die Zwanziger kann man ja so schlecht falten!“

Sie gibt mir das Geld. Glutzert immer zu ihrer Kollegin rüber, die den jungen Mann bedient.

Ich packe alle Sachen wieder in die Stullentüten und dann in den AOK-Chopper. Ganz ordentlich mache ich das. Ab und an brülle ich;“ Keene Hektik!“ und damit die Bescheid wissen, sag ich noch ganz laut: „Ich will nich ins Heim, verstehense mal! Da kann ich nicht hin. Da stoß ich mich immer!“

Als ich endlich alles klarhabe, schaukel ich in Ruhe zum Ausgang. Dabei sprech ich alle an: „Haben Sie mal Geld für mich?“ – Wer nich fragt, kriegt keene Antwort. Aber die ducken sich weg. „Ja, ja, so fille Menschen und keener hat Geld!“ brülle ich rum. „Müssen alle rechnen!“

Als ich mit meinem AOK-Chopper die Treppe runter zuckeln will, wird der plötzlich ganz leicht. Ich dreh ma um. Der junge Mann hat den Chopper angehoben und trägt ihn mir die Treppe runter.

Und als wa unten sind, drückt er mir einen Zwanziger in die Hand. Der obdachlosen Rumänin auch.

„Aber schön vorsichtig beim Falten!“ Er zwinkert mir zu, als ob ich ihm nichts vormachen könnte.

Das macht mir natürlich den ganzen Abgang kaputt.

Aber ansonsten war das wieder ein toller Auftritt. Wie die alle geglotzt haben!
Morgen gehe ich zu Edeka. Da lasse ich mir eine halbe Scheibe Wurst auswiegen. Ich hab ja auch nur noch die Hälfte Zähne. Wozu brauch ich da eine ganze Scheibe Wurst? Verstehense ma, die Wurstscheiben kann man doch auch immer so schlecht falten!“
– ENDE –

Ich wünsche entspanntes Lesen ~ Ihre Bettina Kerwien ~ Let’s do this.

Schrifstellerin Bettina Kerwien – www.bettinakerwien.de – Stöbern Sie auch mal in ihren spannenden Krimis°
– Foto: Schrifstellerin Bettina Kerwien


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert