Die meisten der anwesenden Glienicker Vertreter waren entgeistert. Sie haben nicht erwartet, dass sich an der Verkehrssituation je etwas ändern würde, wenn sie es nicht wollen. Wer bitte schön ist Berlin Reinickendorf? Wie konnte das passieren?
Zur Erinnerung: Die Schildower Straße ist eine unterklassige Nebenstraße. Durch die Schildower Straße rauscht zu den Spitzenzeiten doppelt so viel Verkehr wie über die Hauptstraße in Glienicke. Diese ist aber eine Kreisstraße. Auf der B 96 treffen dann alle wieder aufeinander. Über die Schildower Straße wird abgekürzt, weil es möglich ist. Das zeigt sich an Wochenenden, Feiertagen und in den Schulferien. Zu verkehrsärmeren Zeiten wird die Schildower Straße genauso gerne genutzt. Auf die Verkehrsmenge auf den Hauptstraßen kommt es nicht an.
Glienicke hat über viele Jahre die Chance vertan, sich konstruktiv mit der Situation der Anwohner auseinanderzusetzen. Glienicke hat das Problem ignoriert. Nun ist die Aufregung groß. Das ist allerdings vor und nach Neuerungen häufig so. Es gibt Befürworter und Skeptiker. Ich erinnere die Einführung des Rauchverbots. Damals wurde ein flächendeckendes Restaurantsterben vorausgesagt. Als der Mindestlohn in Deutschland eingeführt wurde, wurde der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, deren Untergang befürchtet. Beide Maßnahmen sind längst gesellschaftlich akzeptiert. Und die Aufstellung von Blumenkästen? Der Durchgangsverkehr ist kein Symbol für den Fall der Mauer. Er wird auch nicht zu deren Wiederaufbau führen. Im Übrigen unterstützen auch Einwohner Glienickes die Ziele der Bürgerinitiative und die Verkehrsberuhigung durch Modalfilter. Die Zusammenarbeit ist „grenzenlos“.
Glienicke weist darauf hin, dass ein zusätzlicher Kiezbus eingesetzt wurde. Das Bezirksamt Reinickendorf hat diverse Maßnahmen ergriffen, um den Individualverkehr zu reduzieren. Die Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung begrüßt diese Maßnahmen. Zu einer Reduzierung des Durchgangsverkehrs haben sie aber leider nicht geführt. Die Bürgerinitiative hat zwei Verkehrszählungen durchgeführt. Im Ergebnis hat der Verkehr in der Schildower Straße zwischen Juni 2018 und Dezember 2019 um gut 10% zugenommen.
Professor Dr. Ortmann hat auf der Grundlage der Zählungen ein Verkehrsgutachten erstellt. Danach ist eine Verkehrsberuhigung des Waldseeviertels machbar, wenn die Ampelschaltungen entlang der B96 aufeinander abgestimmt werden und die Umlaufzeiten verlängert werden.
Wieso sollte es auch nicht funktionieren? In anderen Ländern Europas, in anderen deutschen Städten und auch in anderen Bezirken Berlins sind Verkehrsberuhigungen möglich und erfolgreich.
Der Durchgangsverkehr steht auch nicht für eine „offene Nachbarschaft“. Kontakte entstehen durch Gespräche. Diese finden aber nicht mit den durchfahrenden Autos bzw. deren Lenkern und den in der Schildower Straße lebenden Menschen statt. Die Diskussion zeigt: Wenn es um die eigene Bequemlichkeit geht, gibt es keine Scheu sich großer Worte wie Freiheit, Mauerbau, offener Nachbarschaft… zu bedienen.
Die Bürgerinitiative geht davon aus, dass die Modalfilter zu einer Zunahme des Rad- und Fußgängerverkehrs führen. Die Attraktivität des Hermsdorfer Kiezbusses wird steigen. Auch der Mauerweg, der überwiegend von Radfahrern, aber auch von Wanderern genutzt wird, wird profitieren. Er führt über die Schildower Str./Alte Schildower Str. Dort könnten Infotafeln aufgestellt werden, die die Touristen informieren. Die Verkehrsberuhigung des Waldseeviertels ist eine Chance, neue Wege zu gehen. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Experiment gelingen wird und dazu führt, dass eine sehr schöne Ecke Berlins den Menschen zurück gegeben wird.
Susanne Tiefenthal
Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung
PMM