Fahrradstraße ungeeignet

Es gibt den Vorschlag, die Schildower Straße in Berlin-Hermsdorf in eine Fahrradstraße umzuwidmen.
Die „Initiative Offene Nachbarschaft“, die größte Bürgerinitiative in dieser Region, hält diesen
Vorschlag aus folgenden Gründen für zurzeit nicht passend und nicht geeignet:

1. Das Bezirksamt Reinickendorf hat für rund 50.000,- € ein ausführliches Verkehrsgutachten zur
„Verkehrsberuhigung der Schildower Straße im Waldseeviertel in Berlin-Reinickendorf“ in Auftrag
gegeben. Das Gutachten wurde nach umfangreichen Datenerhebungen am 18.2.2021 vorgelegt. Aus
dem Gutachten geht hervor, dass die gemessenen Verkehrsstärken innerhalb der Grenzwerte für
Sammelstraßen liegen (Seite 13 und Seite 66). Ein Eingreifen des Bezirksamtes ist also nicht
erforderlich. Es gibt andere Straßen, die stärker belastet sind.

2. Die Umwandlung der Schildower Straße in eine Fahrradstraße mit Zusatzzeichen „Anlieger frei“
wird als nicht geeignet bezeichnet (siehe Seiten 36, 61 und 67). Hauptgründe waren die geringe
Radverkehrsstärke, die Beeinträchtigung des Linienbusverkehrs, die fehlende Kapazität im
übergeordneten Straßennetz und die zu erwartende Verlagerung des Durchgangsverkehrs auf
Wohnstraßen westlich und östlich der Berliner Straße (B 96).

3. Die Radverkehrsstärke auf der Schildower Straße ist mit 430 Rädern am Tag gegenüber rund 6.000
Kfz/24h relativ gering. Auf 14 Autos kommt ein Fahrrad. Dieses Verhältnis wird sich auch in
absehbarer Zeit nicht grundlegend wandeln. Radverkehr ist nicht die vorherrschende Verkehrsart
und wird es auch nach jetziger Evidenz nicht werden.

4. Es besteht allgemeiner Konsens darüber, dass der ÖPNV Vorrang haben muss. Die Schildower
Straße wird zurzeit von der BVG-Buslinie 326 regelmäßig befahren. Nach dem Interkommunalen
Verkehrskonzept der Umland-Gemeinden soll eine weitere Buslinie dazukommen. Diese Buslinie wird
auch in der Schildower Straße entlanggeführt und soll helfen, den motorisierten individuellen
Pendlerverkehr (MIV) aus dem Umland zu reduzieren. In einer Fahrradstraße haben allerdings
Fahrräder Vorrang. In einer Fahrradstraße können nebeneinanderfahrende Fahrräder den
Busverkehr behindern. Das ist zu vermeiden und nicht gewollt. Fahrradstraßen sollten durch ruhige
Nebenstraßen ohne ÖPNV geleitet werden. Der ÖPNV soll nach übereinstimmender Ansicht Vorrang
vor dem Individualverkehr haben, unabhängig davon, ob der Individualverkehr 2, 3 oder 4 Räder hat.
Fahrradverkehr ist auch Individualverkehr (manchmal auch schon motorisiert). Dem Fahrradverkehr
in einer Fahrradstraße Vorrang vor dem ÖPNV einräumen zu wollen, widerspricht den Grundsätzen
der Verkehrsplanung. Fahrradstraßen sind folglich für Straßen mit öffentlichem Busverkehr nicht
geeignet.

5. In den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) heißt es zu
den Zeichen 244.1 und 244.2 (Beginn und Ende einer Fahrradstraße), dass „vor der Anordnung (einer
Fahrradstraße) die Bedürfnisse des Verkehrs mit Kraftfahrzeugen ausreichend berücksichtigt werden
müssen (alternative Verkehrsführung)“. Eine alternative Verkehrsführung des Kfz-Verkehrs ist laut
Gutachten (siehe oben) nicht möglich. Danach ist die Anordnung einer Fahrradstraße für die
Schildower Straße nicht möglich und damit rechtswidrig.

6. Wenn die Schildower Straße nur für den motorisierten Anliegerverkehr freigegeben werden
würde, was erforderlich ist, damit die Anlieger zu ihren Grundstücken kommen, stellt sich die Frage:
„Wer ist Anlieger?“. Die Mutter und Oma aus der Käthestraße im Waldseeviertel könnte ihre Tochter
und Enkelkinder in der Karl-Marx-Straße in Glienicke gleich hinter der Stadtgrenze nicht mehr auf
kurzem Wege über die Schildower Straße besuchen. Sie ist ja kein Anlieger der Schildower Straße.
Fast das gesamte Waldseeviertel und Hermsdorf wären vom kleinen, kurzwegigen Grenzverkehr
abgeschnitten und ausgesperrt. Für die Glienicker käme das einer Grenzschließung gleich.

7. Im § 44, Absatz 2 des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobG BE) heißt es: „Fahrradstraße und
Nebenstraßen (im Radverkehrsnetz) sollen so gestaltet werden, dass motorisierter Individualverkehr,
außer Ziel- und Quellverkehr, im jeweiligen Straßenabschnitt unterbleibt.“ Das heißt, die Schildower
Straße müsste als Fahrradstraße so gestaltet werden, dass nur noch Ziel- und Quellverkehr in der
Schildower Straße möglich ist. Dies ist im Grunde nur durch Poller möglich. Fast das gesamte
Waldseeviertel, Hermsdorf und Reinickendorf wären von der Nutzung der Schildower Straße
ausgeschlossen. Die Glienicker sowieso. Das käme einer erneuten Grenzschließung für fast alle
Berliner und Brandenburger gleich.

8. Die Diskussion über ein verkehrssicheres Radverkehrsnetz hat im Grunde erst begonnen und ist
noch nicht abgeschlossen. Eine breite Bürgerbeteiligung hat bisher nicht stattgefunden. Insofern ist
die Planung des Radverkehrsnetzes noch mitten im Prozess. Jeder Plan ist nur vorläufig, dieser
Radverkehrsplan besonders, da er der Öffentlichkeit kaum bekannt ist und ohne breite
Bürgerbeteiligung entstanden ist. Die vielfach besseren Alternativen zu den jetzigen Strecken wurden
nicht beachtet, kaum und unzureichend diskutiert und nicht fachlich begutachtet. Aus einem
vorläufigen und fehlerhaften Plan sollten keine weitreichenden Schlüsse für die Straßengestaltung
geschlossen werden.

9. Nach den derzeit gültigen Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) ist die Schildower
Straße eine Sammelstraße und keine Wohnstraße oder Wohnweg im Sinne dieser Richtlinien.
Sammelstraßen haben eine Verkehrsstärke von 400 bis 800 Kfz/h. Die Spitzenwerte in der Schildower
Straße lagen bei 487 Kfz/h (früh) und 505 Kfz/h (spät), siehe Gutachten zur Schildower Straße, Seite

10. Nach den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) darf in
Fahrradstraßen anderer Fahrzeugverkehr als Radverkehr nur ausnahmsweise zugelassen werden. Die
neuen Fahrräder sind zunehmend elektrifiziert und motorisiert. S-Pedelecs dürfen auf
Fahrradstraßen nicht fahren. Auch E-Bikes im engeren Sinne, das sind Elektrofahrräder, bei denen
man nicht mehr treten muss, sind mit einem Mofa zu vergleichen und dürfen auf Fahrradstraßen
nicht mehr fahren. Wozu will man sich die ganzen Einschränkungen antun, die durch die
Umwandlung der Schildower Straße in eine Fahrradstraße erforderlich wären und warum? Viele E-
Bikes wären von der Benutzung der Fahrradstraße ausgeschlossen.

11. Die Klimakrise wird zunehmend als „Meta-Krise“ erkannt. Die Ampelzählgemeinschaft in
Reinickendorf will eine Klimaleitstelle schaffen, die jede bezirkliche Entscheidung auf
klimafreundliche Alternativen prüfen wird.

13. Für diese Straßen sehen die Richtlinien für Stadtplaner Radverkehrsanlagen (Radwege,
Radfahrstreifen) und eine allgemeine Geschwindigkeitsdämpfung (30er-Zone) vor. Fahrradstraßen
können nach den allgemeinen Richtlinien nur in Erschließungsstraßen mit Verkehrsbelastungen bis zu
400 Kfz/h eingesetzt werden (RASt 06, Seite 86). Das würde reinen Wohnstraßen entsprechen und
keinen Sammelstraßen, wie das bei der Schildower Straße der Fall ist. Nach den allgemeinen
Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen ist die Schildower Straße als Fahrradstraße nicht
geeignet.

Eine Fahrradstraße auf der Schildower Straße würde zu erheblichen Umfahrungsverkehr auf bereits
jetzt verstopften Hauptstraßen und zu zusätzlichen Ausweichverkehren auf dann zusätzlich
belasteten Wohnstraßen führen. Ein Kiez der kurzen Wege, der von allen gefordert wird, wäre
vorbei.

Die zusätzliche Fahrzeit durch die gesperrte Schildower Straße wäre für einzelne Fahrzeuge vielleicht
nur 5 oder 10 Minuten. Bei 6.000 Fahrzeugen am Tag summiert sich das allerdings schon auf 30.000
bis 60.000 Minuten am Tag. Das sind 500 bis 1.000 Autofahrstunden täglich, an denen CO₂ und
andere Schadstoffe zusätzlich und unnötig in die Luft gepustet werden, und das nur an einem Tag.
Die Umwandlung der Schildower Straße in eine Fahrradstraße ist extrem klimaschädlich und passt
nicht in unsere Zeit.

Initiative Offene Nachbarschaft – www.offene-nachbarschaft.de

Kontakt:
Initiative Offene Nachbarschaft
Dr. Helmut Bodensiek, Solquellstr. 27, 13467 Berlin


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