Gesundheitsschutz von Kindern

Gutachten: Özdemirs geplante Werbeschranken sind verfassungsgemäß – Gesundheitsschutz von Kindern geht vor Freiheit der Unternehmen.

Der von Bundernährungsminister Cem Özdemir vorgelegte Gesetzentwurf zum Schutz von Kindern vor Junkfood-Werbung ist verfassungsgemäß. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens der Rechtsanwältin Karoline Borwieck von der Kanzlei Geulen & Klinger im Auftrag der Verbraucherorganisation foodwatch. Der Schutz der Kindergesundheit sei „ein überragend wichtiger Gemeinwohlbelang“, die Einschränkungen für die Wirtschaft hingegen begrenzt. Unternehmen könnten weiterhin gesunde Produkte an Kinder bewerben oder die Rezepturen ihrer Lebensmittel verbessern. „Durch die Regelungen verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes Ziel, die Normen sind zur Zielerreichung geeignet, erforderlich und angemessen“, heißt es in dem Gutachten. Weder die aktuell bestehenden Gesetze noch die Selbstverpflichtungen der Industrie reichten aus, um Kinder vor der Werbung für gesundheitsschädliche Lebensmittel zu schützen.

„Das Prinzip Freiwilligkeit ist krachend gescheitert. Trotz aller Beteuerungen hat die Lebensmittelindustrie über Jahrzehnte skrupellos Profite auf Kosten der Kindergesundheit gemacht. Özdemirs Pläne sind zwar ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit – angesichts der fatalen gesundheitlichen Folgen von Junkfood-Werbung aber gerechtfertigt“, erklärte Luise Molling von foodwatch.

Die von Cem Özdemir geplanten Regelungen untersagen die Werbung für unausgewogene Produkte im TV, Internet und Hörfunk tagsüber zwischen 6 und 23 Uhr – also immer dann, wenn Kinder besonders häufig vor den Empfangsgeräten sitzen. Auch Influencer:innen sollen in den sozialen Medien nicht mehr für ungesunde Lebensmittel werben dürfen. Für Plakatwerbung soll eine 100-Meter-Bannmeile im Umkreis von Kitas, Schulen und Spielplätzen gelten. Grundlage dafür sind die Nährwertkriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Zwei Gutachten im Auftrag des Lebensmittelverbands und des Zentralverbands der Werbewirtschaft (ZAW) hatten gewarnt, dass der Gesetzentwurf die Kommunikations- und Wirtschaftsfreiheiten massiv einschränkten und damit sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen Unionsrecht verstießen. Zudem sei nicht der Bund, sondern die Länder für die Gesetzgebung zuständig. Dem widerspricht das Gutachten von Karoline Borwieck in allen drei Punkten: Erstens sei der Bund eindeutig zuständig, weil der Gesetzesentwurf Lebensmittelunternehmen, Werbeagenturen und andere werbende Personen, zum Beispiel Influencer:innen, adressiere – nicht aber Mediendienstanbieter. Somit würden Regelungen im Bereich des Lebensmittelrechts, nicht im Bereich der Medien geschaffen. Vergleichbar sei dies mit dem Tabak-Werbeverbot, das ebenfalls als Regelung des Lebensmittelrechts betrachtet wurde. Zweitens sei der Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit zwar durchaus gegeben, bewege sich aber im Rahmen der Schranken der verfassungsgemäßen Rechtsordnung. Ob, drittens, überhaupt ein Eingriff in europarechtlich garantierte Grundfreiheiten bestünde, sei fraglich, in jedem Fall aber auch gerechtfertigt.

Laut einer Studie der Universität Hamburg sieht jedes Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Allein die Süßwarenindustrie hat 2021 über eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben – so viel wie in keinem anderen Jahr zuvor.

Kinder essen etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Aktuell sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der OECD auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.

PMM


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