Hermsdorf, Frohnau, Waidmannslust, Lübars

Stellungnahme (Kurzfassung)zum sogenannten „Gutachten“ von Herrn Ortmann zur Verkehrsbelastung in Hermsdorf, Frohnau, Waidmannslust und Lübars.

Herr Ortmann, Professor für Mathematik, war fleißig. Er hat eine über 50-seitige
Analyse zur Verkehrsbelastung in Hermsdorf, Frohnau, Waidmannslust und
Lübars am 17.3.2021 vorgelegt.

Allerdings: Viel Neues kommt von ihm nicht.

Seine Analyse beruht auf Bewegungsdaten des Herstellers von
Navigationssystemen TomTom aus dem April 2019. Mit diesen Daten war der
Professor, bildlich gesprochen, bereits durch die Lande gezogen, um für den
Modalfilterbeschluss der BVV zu werben. Nicht nur die Daten sind aber nicht
neu: An Herrn Ortmann sind offenbar die ganzen Veränderungen in der
politischen und rechtlichen Diskussion vorbeigegangen – inclusive
Verkehrsgutachten, rechtliche Beurteilung des Bezirksamts, Sitzungen der BVV
und des Verkehrsausschusses mit der dortigen Entscheidung für einen
Bürgerdialog u. Ä. m. Verbissen bleibt er dabei, dass nirgends der Verkehr für
die Anwohner so unzumutbar ist wie in der Schildower Straße – und besonders
natürlich in dem Bereich in der Nähe der Marthastraße, in dem ganz zufällig er
selbst wohnt.

Wir wollen dabei noch nicht einmal seine Daten bezweifeln. Die TomTom-
Daten umfassen zwar nur etwa 6,8 % aller Kfz-Bewegungen. Insofern beruht
die gesamte Analyse auf Hochrechnungen und damit Schätzungen. Doch
scheinen diese weitgehend plausibel, zumal sie im Bereich um den Waldsee
in der Nähe derjenigen des Verkehrsgutachtens des Bezirksamts liegen. Auch
sprechen wir Ortmann nicht ab, entsprechend seiner angehängten
„Erklärung“ ein Experte für statistische Datenanalyse zu sein. Auf diesem
Gebiet mag seine Arbeit anerkennenswert sein – und hilfreich für den, der auf
eine kleinteilige Analyse der bestehenden Verkehrsströme aus ist. Für die
entscheidende Frage, der sich das Verkehrsgutachten gewidmet hat, durch
welche Maßnahmen die Lage an einer Stelle verbessert werden kann, ohne
an anderer Stelle für noch mehr Anwohner noch mehr Probleme zu schaffen,
ist sie nahezu wertlos. Problematisch wird es zudem immer dann, wenn der
Professor sein Fachgebiet verlässt und sich als direkt Betroffener
verkehrspolitisch oder auch rechtlich äußert.

1. In der Einleitung schreibt Herr Ortmann:
„Alle sind sich einig, dass es so nicht weitergehen kann.“
Dies ist eine in Bezug auf das Gebiet, dass Prof. Ortmann untersucht, eine
übertriebene Dramatisierung mit manipulativer Absicht. Ja, es gibt in
Hermsdorf neuralgische Punkte hinsichtlich der Belastung der Anwohner durch
Verkehr, aber Hermsdorf ist, auch an der Schildower Straße, nicht der Ort, wo
in Berlin der Verkehrsmoloch am größten ist. Fake News!

2. Ortmann schreibt weiter:
„Bisher gibt es in Reinickendorf schlichtweg keinen vernünftigen
Angebotsmix für die Mobilität im Straßenraum.“
Das ist eine steile These, die nicht belegt ist: Fake News!

3. Im 3. Absatz schreibt er:
„§ 44 (2) des Berliner Mobilitätsgesetzes gibt vor, dass Nebenstraßen so
gestaltet werden sollen, dass motorisierter Individualverkehr, außer
Quell- und Zielverkehr, im jeweiligen Straßenabschnitt unterbleibt.“
Das ist nicht richtig. Richtig ist: Der § 44 (2) bezieht sich auf Nebenstraßen im
Radverkehrsnetz. So steht es auch in der Überschrift des § 44. Das
Radverkehrsnetz soll Bestandteil des Radverkehrsplans werden und wurde
noch nicht beschlossen. Ortmanns Angaben sind deshalb Fake News!

4. Weiter schreibt Herr Ortmann:
„Gleichermaßen soll nach § 56 (1) MobG BE motorisierter
gebietsfremder Durchgangsverkehr minimiert oder vermieden werden,
um Gefährdungslagen für Fußgänger zu verringern.“
Das ist so nicht richtig. § 56 (1) MobG BE lautet: „In Nebenstraßen, in denen
das Fußverkehrsaufkommen erhöht ist, Kinderspiel im Straßenraum gefördert
werden soll oder motorisierter Verkehr zu Gefährdungslagen für den
Fußverkehr führt, soll motorisierter gebietsfremder Verkehr, der weder seine
Quelle noch sein Ziel in dem durch Nebenstraßen erschlossenen Gebiet hat,
insbesondere durch geeignete straßenrechtliche, verkehrsrechtliche oder
bauliche Maßnahmen, wie Quer- und Diagonalsperren, minimiert oder
vermieden werden.“ Die erste Bedingung für die Anwendung dieses
Paragrafen ist ein erhöhtes Fußverkehrsaufkommen. Das ist in den zur
Diskussion stehenden Straßen nicht vorhanden. Die zweite Bedingung ist, dass
das Kinderspiel im Straßenraum gefördert werden soll. Diese Bedingung ist
ebenfalls nicht gegeben. Der motorisierte Verkehr führt hier auch nicht zu
besonderen Gefährdungslagen für Fußgänger, da die Fußgänger
beispielsweise in der Schildower Straße durch eine hochbordige
Bordsteinkante und einer beidseitigen Baumreihe (Allee) zusätzlich geschützt
sind. § 56 (1) MobG BE trifft also hier nicht zu. Herr Ortmann verbreitet
wiederum Falschinformationen in manipulativer Absicht: Fake News!

5. Schnell kommt Herr Ortmann zu seinem eigentlichen Anliegen: Er möchte
15 „Kiezblocks“ in Reinickendorf und 180 Kiezblocks in Berlin zusammen mit der
Radfahrerinitiative „Changing Cities“ errichten – ein Kiezblock verstanden als
ein städtisches Wohnviertel ohne Durchgangsverkehr. Ein erstes Beispiel und
„Versuchskaninchen“ in Reinickendorf soll, wen wundert es, das
Waldseeviertel in Hermsdorf-Ost werden.

Wir lassen hier dahinstehen, ob Ortmanns Vorstellung von einem Kiezblock der
von Changing Cities entspricht. Schließlich will er nicht mehr erreichen als den
Verkehr just an der Schildower Straße nach Norden und Osten zu blocken.
Ortmann verschweigt jedenfalls, dass Straßensperrungen an der
Landesgrenze in einem von Fachleuten erstellten Verkehrsgutachten als
verkehrspolitisch ungeeignet betrachtet werden, weil sie insgesamt durch
den Abdrängungsverkehr in anderen Straßen noch mehr Verkehr schaffen.
Außerdem blocken Modalfilter oder Poller den zusammengewachsenen Kiez
Hermsdorf Ost / Glienicke nicht nur, sondern sie wären ein Kiez-Crasher.

6. Herr Ortmann behauptet, dass Wohngebiete ohne Durchgangsverkehr
„wie Pilze aus dem Boden schießen“. Nun, diese Pilze sehen wie noch nicht.
Fake News! In Wirklichkeit gibt es 2 „Superblocks“, wie sie in Spanien heißen, in
Barcelona. Gerade die Durchfahrtssperren mitten im Wohngebiet werden
dort zunehmend kritisch gesehen, aus denselben Gründen wie bei uns:
Verkehrsverlagerungen auf die angrenzenden Hauptstraßen, dadurch
zusätzliche Belastungen der dort lebenden Anwohner und Beschwerden über
noch mehr Lärm und grenzwertüberschreitende Autoabgase, Abdrängung
des Verkehrs auf andere Straßen, noch mehr Verkehr durch Umfahrung der
Straßensperren mitten im Kiez, negative Klima- und Umweltbilanz.
Fazit: Gut funktionierende Kiezblocks gibt es nicht, auch nicht in Barcelona,
und Sperrungen durch Modalfilter oder Poller an der Landesgrenze würden
daran nichts ändern. Also: Fake News!

7. Herr Ortmann behauptet, bei der Einrichtung von Kiezblocks würde die „Nachbarschaft aufblühen“. „Insbesondere Kinder und Ältere können sich
gefahrlos vor der eigenen Haustür bewegen.“ Das suggeriert, dass das im
Augenblick nicht möglich sei. Das ist offensichtlich Quatsch: Fake News!

8. Prof. Ortmann suggeriert im jetzt vorgelegten Privatgutachten, die
Anwohner an der Schildower Straße würden in einer Neben- bzw.
Wohnstraße wohnen. Durch diese Kategorisierung, die er aus dem
Flächennutzungsplan (FNP) und dem Stadtentwicklungsplan (StEP) ableitet,
würden die Anwohner einen Anspruch auf ein entsprechend geringes
Verkehrsvolumen haben.

Es ist hier nicht der Raum, dem Mathematikprofessor die juristische Relevanz
dieser Regelwerke klar zu machen. Nur so viel: Weder FNP noch StEP geben
individuelle Ansprüche, sie haben vielmehr Relevanz für die zuständigen
Ämter und binden diese, wenn sie planen, Gebiete umfassend zu verändern.
Wie dünn die Schildower Straße im FNP auch eingezeichnet sein mag: für den
dort zulässigen Verkehr lässt sich aus dem FNP nichts ableiten. Und was die
Richtlinien zur Anlage von Straßen anbetrifft: Das aktuelle von Fachleuten
erstellte Verkehrsgutachten (https://www.berlin.de/ba-reinickendorf/politikund-
verwaltung/aemter/strassen-und-gruenflaechenamt/strassenbau/) hat
festgestellt, dass die Schildower Straße eine Sammelstraße und als solche
nicht überlastet ist. Wenn Herr Ortmann dennoch beharrlich auch im
Zusammenhang mit der Richtlinie von „Wohnstraße“ spricht, wenn er die
Schildower Straße und andere Sammelstraßen meint, sind das Fake News, die
auch durch ständige Wiederholung nicht richtig werden!

9) Die Falschmeldungen von Herrn Ortmann gehen weiter wenn er
behauptet: „Die weit überwiegende Mehrheit der Anwohner im
Waldseeviertel fordert, dass der Durchgangsverkehr auf den Wohnstraßen im
Kiez unterbunden wird. In kürzester Zeit wurden insgesamt über 1.200
Unterschriften für konkrete Forderungen in diese Richtung gesammelt.“ Das ist
falsch: Fake News! Richtig ist, dass es über 2.000 Unterschriften gegen
Straßensperrungen an der Stadtgrenze gibt. Die 1.200 Unterschriften, die Herr
Ortmann anführt, setzen sich aus 2 Unterschriftensammlungen mit
unterschiedlichen Inhalten zusammen, die im Abstand von über 2 Jahren
stattgefunden haben und deren Personen weitgehend identisch sind. –
Bei der ersten Unterschriftensammlung handelt es sich um 580 Unterschriften
für „mehr Verkehrsberuhigung“ aus dem Herbst 2018. Bei der zweiten
Unterschriftensammlung handelt es sich um die aktuelle
Unterschriftensammlung (ca. 600) gegen ein Einbahnstraßensystem im
Waldseeviertel. Die zweite Unterschriftensammlung haben alle 3
Bürgerinitiativen im Waldseeviertel unterstützt. Dass beide
Unterschriftensammlungen gegen Durchgangsverkehr und damit für
Straßensperrungen waren, entspricht nicht den Tatsachen und ist grob
irreführend und verfälschend: Fake News!

10. Wir brechen an dieser Stelle mit dem Aufzeigen weiterer Fake News in der
Analyse von Prof. Ortmann ab. Glauben Sie uns, es gäbe noch viele. Als ein
besonders typisches Beispiel für Ortmanns Herangehensweise greifen wir
stattdessen seine Behandlung des sog. Durchgangsverkehrs in Hermsdorf und
im Walseeviertel auf. Ortmann gelangt zu dem Ergebnis, dass knapp die
Hälfte des Verkehrs in Hermsdorf dem Durchgangsverkehr zuzurechnen sei –
also einer Fahrt, die weder in Hermsdorf begonnen noch dort geendet habe.
Prof. Ortmann formuliert dies auf S. 10 im Fettdruck so:
„Etwa jedes zweite sich bewegende Kraftfahrzeug hat in Hermsdorf
nichts zu suchen.“

Soll das bedeuten: Die B 96 sperren? Autos aus Glienicke raus aus Hermsdorf,
wenn sie nicht gerade zu Geschäften in Hermsdorf zum Einkaufen fahren,
sondern vielleicht nach Waidmannslust? Und sollen umgekehrt auch
Waidmannsluster oder Lübarser Bürger nicht mehr mit dem Auto durch
Hermsdorf fahren dürfen, um in Frohnau zum Arzt zu gehen? Will Herr Ortmann
ganz Hermsdorf mit einer Ringmauer versehen und von der Außenwelt
abkapseln? Das sind nicht mehr nur Fake News, dies lässt fragen, welche
innere Haltung der Verfasser zu den Teilhaberechten von Menschen hat, die
in einem anderen Bundesland oder auch nur in einem anderen Viertel
wohnen als er.

Dazu passt noch eine weitere “Feststellung” von Prof. Ortmann, diesmal zu der
angeblich besonderen Belastung des Waldseeviertels:
„Eine tiefgehende Analyse des Verkehrs im Waldseeviertel hat gezeigt,
dass der Nachbarschaftsverkehr zwischen dem Waldseeviertel und
Glienicke/Nordbahn im doppelten Sinn unbedeutend ist.“

Diese “tief gehende Analyse” hat der Mathematikprofessor geschickt so
angelegt, dass nahezu zwangsläufig eine niedrige Zahl von Fahrten zwischen
Glienicke und dem Walseeviertel herauskommen musste. Zum einen definiert
Ortmann das Waldseeviertel, anders als das Bezirksamt bei seiner
Anwohnerbeteiligung im Februar 2021, klein und exklusiv (s. Abbildung 27). Nur
das Gebiet östlich der B96 zählt, Fahrten z. B. zu den Arztpraxen oder
Geschäfte am Waldseeweg westlich der B96 rechnen nicht mit. Wer also
dorthin fährt, nimmt an dem ihm – s. o. – nicht zustehenden
Durchgangsverkehr durch Ortmanns Waldseeviertel teil, ist also – wie Herr
Professor dies sonst gerne formuliert – Pendler.

Mehr aber noch als durch diesen Trick führt die gedankliche Abtrennung des
Waldseeviertels von Hermsdorf, wie Ortmann sie unternimmt, zu einer völlig
sachwidrigen Erhöhung der statistischen Zahl für den Durchgangsverkehr.
Wer, sei er Hermsdorfer Bürger aus einem anderen Bereich des Bezirks oder
gar Glienicker, aus seinem Kiez durch das Prof. Ortmann-Gebiet fährt und dort
nicht bleibt, betreibt schädlichen Durchgangsverkehr, so Prof. Ortmann.
Wir machen bei dieser Denke nicht mit! Für uns und unsere Unterstützer sind
alle Hermsdorfer und Glienicker Nachbarn. Über 2.000 Menschen haben uns
allein mit ihrer Unterschrift gegen Straßensperrungen an der Stadtgrenze
unterstützt. Gemeinsam mit allen anderen Hermsdorfern und ihren Nachbarn
jenseits der Landesgrenze wollen wir nicht, dass die Forderungen von Herrn
Ortmann nach Modalfiltern, Pollern oder anderen Kiez-Crashern Realität
werden.

Wir wollen einen ruhig fließenden und sicheren Verkehr, der in einem
Interessenausgleich mit allen Betroffenen und Beteiligten idealerweise an
einem „Runden Tisch Verkehr“ gefunden wird.

Dr. Helmut Bodensiek – Initiative offene Nachbarschaft
www.offene–nachbarschaft.de
Berlin-Hermsdorf – 31. März 2021
PMM


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