KiEZBLATTFrageBVV 008 – „Volksentscheid“

Zum Volksentscheid – Wie steht Ihre Partei zu der Tatsache, dass Verwaltungen sich das Recht durch ihr Handeln, sogar mit grober Absicht herausnehmen negativ über die Gesundheit ihrer Bürger zu bestimmen? Hat Verwaltung in Ihrer Verantwortung eigentlich nicht als Pflicht genau das Gegenteil? Wo greifen hier Menschenrechte?

Exekutive, Legislative und Judikative haben in einem politischen System, das auf Menschenrechten basiert, die Pflicht, gesundheitliche Gefahren für die Bevölkerung abzuwenden. Aus diesem Grund wurde die Betriebsgenehmigung für den BER auch durch höchstrichterliche und nach wie vor geltende Urteile explizit damit verknüpft, dass die innerstädtischen Flughäfen Tempelhof und TXL schließen müssen, damit unter dem Strich deutlich weniger Menschen in Berlin von den gesundheitsgefährdenden Emissionen des Flugverkehrs belastet sind. Aus demselben Grund werden weltweit innerstädtische Flughäfen geschlossen und in Deutschland seit Jahrzehnten keine innerstädtischen Flughäfen mehr genehmigt. Es spricht auch nichts dafür, anzunehmen, dass TXL die zwingend erforderliche neue Betriebsgenehmigung erhalten würde, falls die Bundesregierung und die beiden Landesregierungen von Berlin und Brandenburg gemeinsam eine Kurskorrektur vollziehen und ein Offenhalten von TXL nach einer Eröffnung des BER anstreben würden. Umfassender Lärmschutz lässt sich beim Kutschi – wie jeder Reinickendorfer weiß – ohnehin nicht realisieren. Worüber m.E. in der TXL-Debatte zu wenig gesprochen wurde und wird, ist zudem der GAU eines Flugzeugabsturzes über innerstädtischem Gebiet. Unter dem Gesichtspunkt die Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen, wäre eine zeitnahe Schließung des TXL nach einer Eröffnung des BER folgerichtig, aber der Gesundheitsaspekt hat in der Debatte um den Volksentscheid leider nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
Felix Lederle (DIE LINKE Reinickendorf)

Der Volksentscheid Tegel hat ein Ergebnis erbracht, das wir selbstverständlich respektieren müssen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat ein fünf Punkte-Programm angekündigt, um zu prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, den Flughafen Tegel offen zu halten.
Die Abstimmung beim sogenannten „Volksentscheid Tegel“ hat jedoch gezeigt, dass viele Menschen sich von Emotionen haben leiten lassen. Manchen erscheint der Flughafen Tegel besonders praktisch, andere arbeiten dort oder fürchten einen Anstieg ihrer Miete, wenn der Flugbetrieb endgültig eingestellt ist. Fakt ist, dass wir uns als SPD jahrelang für die Schließung des Flughafens und eine Entlastung der etwa 300.000 von Fluglärm Betroffenen eingesetzt haben. Außerdem haben wir ein Nachnutzungskonzept entwickelt, welches durchweg auf positive Resonanz stieß.
Das Ergebnis ist am Ende wesentlich knapper ausgegangen, als man uns noch vor ein paar Monaten prophezeit hat. Wir konnten viele Menschen von den sachlichen Gründen überzeugen. Insbesondere die Menschen, die unmittelbar in der Einflugschneise wohnen und vom Flugverkehr betroffen sind z.B. in der Holländerstraße, im „Waldidyll“ in Tegel-Süd, aber auch in Pankow und den Mäckeritzwiesen in Richtung Spandau, haben mehrheitlich mit „Nein“ votiert.
Unser Ziel bleibt es, diese vom Fluglärm betroffenen Menschen zu entlasten. Das haben wir versprochen und ich möchte das auch halten. Ein Weiterbetrieb von Tegel als innerstädtischem Flughafen ist risikoreich und wirtschaftlich nicht vertretbar. Die Insolvenz von Air Berlin hat die Situation noch zusätzlich verschärft. Auch die juristischen Risiken sind erheblich. Mit Klagen müssen wir sowohl gegen den Weiterbetrieb von TXL als auch gegen der BER rechnen, denn dessen Betriebsgenehmigung hängt an der Tegel-Schließung.
Was wir jetzt also benötigen ist eine Klärung der rechtlichen Sachverhalte, beispielsweise durch einen ehemaligen Bundesrichter. Ich denke, dass wir am Ende einer Abwägung zu dem Resultat kommen werden, dass ein Weiterbetrieb von Tegel keinen Sinn macht. Der Bund und das Land Brandenburg haben als Mitgesellschafter der Flughafengesellschaft ohnehin eindeutig Stellung bezogen. Und der beste Schutz vor Fluglärm ist es, den Flughafen zu schließen. Damit erübrigen sich auch die Forderungen nach mehr Lärmschutz. Dieses Geld können wir besser in Schulen und Kitas investieren.
Jörg Stroedter (SPD Reinickendorf)

Antwort
Volksentscheide sind für uns eine wichtige Möglichkeit der Bürger unabhängig von Wahlen ihre Meinung zu sagen. Wir sind diesbezüglich dafür das Schweizer Modell zu übernehmen Volksabstimmungen verbindlich zu gestalten. Politik und Verwaltung sollten keine Möglichkeit haben sich über den geäußerten Willen der Menschen (des Souveräns) hinwegzusetzen.
Wir haben uns vor dem Volksentscheid bereits für Tegel TXL unter der Voraussetzung ausgesprochen, dass nur das Terminal A betrieben wird, nur lärmarme Flugzeuge landen dürfen, längere Ruhezeiten einzuhalten sind und die Anwohner die modernsten Lärmschutzmassnahmen erhalten. Jetzt werden wir darauf dringen, dass der Wille des Volkes auch durch den Senat umgesetzt wird.
Rolf Wiedenhaupt (AfD Reinickendorf)

Antwort (15.12.2017)
Gerade im Hinblick auf mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz der Politik und Verwaltung, muss jeder Volksentscheid respektiert werden.
Allerdings müssen wir im Falle TXL ehrlich sagen, dass wir uns hier in einem Dilemma befinden: Wie ist es zu bewerten, dass sich eine Mehrheit für die Offenhaltung Tegels ausspricht, von der viele nicht selbst von den Nachteilen des Flugbetriebes betroffen sind?
Der Lärm im Umfeld des Flughafens Tegel betrifft ca. 300.000 Menschen. Nirgendwo in Deutschland sind mehr Menschen betroffen, davon sind etwa 134.000 Berliner*innen sind sogar einem Lärmpegel von über 60 Dezibel ausgesetzt. Das ist nicht lediglich störend, sondern macht krank.
Aufgabe der jeweiligen Regierungen ist es, gesundheitlichen Schaden von ihren Bürger*innen abzuwenden. Das erwarten in der Regel auch alle und kritisieren es, wenn es nicht geschieht (vgl. den Einsatz von Glyphosat).
Leider wurde in den hoch emotionalen Debatten im Vorfeld des Volksentscheids diese Thematik zu wenig beachtet, da der Volksentscheid bedauerlicherweise viel zu sehr als Wahlkampfmittel instrumentalisiert wurde.
Unsere Fraktion wünscht sich weiterhin eine Schließung TXLs nach Inbetriebnahme des BER. Nach unserer tiefsten Überzeugung, wäre dies nicht nur im Hinblick der Gesundheitsförderung der Betroffenen unverzichtbar, sondern auch für die Umwelt, die Glaubwürdigkeit, den Wohnungsbau und der Entwicklung des Standortes Berlin, immens wichtig.
Elke Klünder (Bündnis 90/Die Grünen)


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